Freitag, 5. Januar 2007

Eine Kritik

In seinem Artikel "Sei helle, denke naturwissenschaftlich" stellte Thomas Thiel in der Süddeutschen Zeitung Ende 2004 die Brights-Bewegung vor, kritisch und mit einer gehörigen Portion Ironie. Damals brauchte er keinen Widerspruch zu fürchten, schließlich war die Bewegung noch nicht in Deutschland angekommen. Die Lage hat sich geändert.

Eines der zentralen Probleme in fast jeder Berichterstattung über die Brights ist die Verallgemeinerung von angeblichen persönlichen Ansichten bestimmter Individuen. Die Brights sind keine hierarchische Organisation, kein Verein und keine politisch-ideologische Gruppierung. Es handelt sich um eine Bewegung, um einen Zusammenschluss von Individuen, die sich einzig und allein in ihrem naturalisischen Weltbild notwendigerweise gleichen. Ob es einzelne Brights gibt, die ihr Weltbild "wie ein Etikett mystischer Erleuchtung" vor sich hertragen, das sei einmal dahin gestellt. Dies der gesamten Bewegung zu unterstellen ist ungerechtfertigt.

Herr Thiel behauptet außerdem, es ginge den Brights darum, "die Räume der Innerlichkeit und Verheißung trocken zu legen". Was genau er damit sagen will, ist unklar. Wenn mit "Innerlichkeit" gemeint ist, "in sich zu gehen" und über das eigene Leben nachzudenken, so haben die Brights sicherlich nicht vor, jemanden davon abzuhalten. Die Bewegung kann so etwas nur begrüßen, wenn sie erreichen möchte, dass sich mehr Menschen mit dem Naturalismus auseinander setzen und ihn vielleicht für sich entdecken. Wenn "Verheißung" mit der mystischen "Prophezeihung" gleichzusetzen ist, so hat Herr Thiel allerdings Recht, dass dies nicht im Sinne der Brights sein kann. Inwiefern die Brights jedoch versuchen, die Zukunft vorher zu sagen, wird nicht erläutert.

Auch die Kapitelüberschrift "Ein Roboter namens Seele" erscheint deplaziert, da sie im folgenden Text nicht erklärt wird. Erst im darauf folgenden Artikelteil unter der Überschrift "Das Herz der Finsternis" geht der Autor kurz darauf ein und behauptet, die Seele bestehe laut Daniel Dennett aus "winzigen Robotern". Fest steht, dass die Seele, wie auch immer man sie definiert, aus naturwissenschaftlicher Sicht kein "Roboter" ist oder aus solchen besteht, was auch nicht Dennetts Meinung entspricht. Vielmehr ist sie, insofern man sie mit der Psyche gleichsetzt, das Ergebnis von Gehirnprozessen. Dass diese Gehirnprozesse wiederum mit der Psyche identisch seien, das ist durchaus nicht Konsens unter den Brights. Eine von Gott in den Menschen eingesetzte Seele als eine Art Persönlichkeits-Abbild, das nach unserem Tod in den Himmel kommt, an so etwas glauben Brights tatsächlich nicht.

Auch die Bezeichnung von Richard Dawkins als "Ultradarwinist" erscheint fragwürdig. Zunächst einmal erinnert diese Formulierung an den Sozialdarwinismus - ein Eindruck, der durch den späteren Verweis auf das Dritte Reich verstärkt wird. Von diesem grenzt sich Dawkins jedoch immer wieder entschieden ab. Der Begriff "Ultradarwinist" suggeriert außerdem, es gäbe Evolutionsbiologen, die weniger stark von der Evolutionstheorie überzeugt seien, ja die sie womöglich nur für eine Theorie unter vielen halten würden. Dies ist gänzlich unzutreffend. Soll jener schwammige Begriff dagegen aussagen, Dawkins sei jemand, der die Evolution medienwirksam verteidigt, so ist dies korrekt.

Thiel weiter:
"Was sich nicht messen lässt, das gibt es nicht – mithin keine dunkle Seite der Vernunft, kein Umschlagen ihres totalitären Anspruches in kruden Irrationalismus, wie es Deutschland im Dritten Reich erlebte."

Dieser Satz ist von allen am wenigsten verständlich. Hier wurde die alte Kritik von Adorno an der Aufklärung übernommen und in einen anderen Zusammenhang gestellt. Es ist in keiner Weise einzusehen, warum "kruder Irrationalismus" die selbe Bedeutung haben soll wie "dunkle Seite der Vernunft". Rationalismus und Irrationalismus sind Gegenpole, keine Synonyme. Wenn die Vernunft in Irrationalismus "umschlägt", dann ist sie nicht länger Vernunft. Die Nazikeule hätte außnahmsweise auch mal im Schrank bleiben dürfen. Fakt ist, dass Naturalisten zwar nicht notwendigerweise, aber sehr oft gleichzeitig Humanisten sind. Jene Vertreter der Menschenrechte kämen niemals auf die Idee, Naziverbrechen zu leugnen. Zu guter Letzt bleibt uns Herr Thiel den Beweis schuldig, warum es eigentlich nicht möglich sein sollte, die "dunkle Seite der Vernunft" zu "messen" oder zumindest zu erklären. Genau das tun Historiker und Psychologen seit den letzten sechzig Jahren. Ach ja: Geisteswissenschaften sollen die Brights ja nicht anerkennen. Auch gut: Die zugehören Gehirnströme lassen sich ebenfalls messen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Energie, die Brights angeblich in die differenzierte Darlegung ihrer Weltanschauung investieren. Tatsächlich wird Naturalismus recht knapp mit dem Nichtvorhandensein mystischer und übernatürlicher Ansichten definiert. Diese Kritik hat zumindest Hand und Fuß, obgleich jene simple Definition von den Initiatoren der Bewegung beabsichtigt war.

Des Weiteren wundert sich der Autor über die Religionskritik der Brights, man müsse bedenken, "dass das moderne wissenschaftliche Weltbild zwischen Heisenbergs Unschärferelation und Gödels Unvollständigkeitstheorem durchaus Platz für einen unbewegten Beweger lässt". Der Leser wird das ungute Gefühl nicht los, dass Herr Thiel einfach ein paar Begriffe der ach so mystischen Quantenmechanik in seinen rhetorisch ausgefeilten Satz hineingeworfen hat, ohne sich näher mit dem Thema beschäftigt zu haben. Beim Wissenschaftsversierten klingen die Alarmglocken, wenn die Quantenmechanik schon wieder als Rechtfertigung für allerlei Übernatürliches herhalten muss. Inzwischen gibt es Bücher über "Quantenpsychologie", über das "Quantenbewusstsein", "Quantengötter" und allerlei andere Quanten-Hirngespinste. Fest steht, dass auch die Physik der kleinen Teile auf Naturgesetzen basiert, auch wenn sich bestimmte Mathematiker einen großen Spaß daraus machen, ihre Modelle unreflektiert auf die reale physische Welt zu übertragen, was zu allerlei Quantenesoterik geführt hat.

Es folgt die Behauptung, das Bekenntnis zum Atheimus könne in Deutschland auf die Mehrheitsmeinung zählen. Aufgrund von "verdeckten" Atheisten wäre dies denkbar, die Statistiken, etwa bei fowid (http://www.fowid.de), sprechen jedoch eine andere Sprache. Soweit man das sagen kann, sind ein gutes Drittel der Deutschen konfessionslos, davon der Großteil Atheisten. Mehr wissen wir darüber nicht.

Der Schlusssatz zweifelt den Erfolg der Bewegung an:
"Das anonyme Medium des Internet soll genügen, um ihre Bewegung zur Einheit zu schmieden. Vielleicht zu wenig, wenn man bedenkt, dass Groß-Ideologien meist im Schweiß von Massenversammlungen geboren werden."

Schon wieder werden mit den Begriffen "Groß-Ideologien" und "Massenversammlungen" Assoziationen mit dem Dritten Reich geweckt. Als Journalist weiß Herr Thiel sicherlich, was er da tut, wenn er sich derartige Verbindungen ausdenkt. Zumindest nachvollziehbar ist der Zweifel am Erfolg einer Bewegung, die scheinbar ganz ohne Treffen auskommt und sich nur im Netz abspielt. Tatsächlich ist gesellschaftliches und politisches Engagement das Hauptziel der Brights, welche eben gerade keine Ideologie sind, und es ist ihnen durchaus nicht verboten, sich zu treffen oder Kundgebungen abzuhalten - eine geradezu absurde Vorstellung. Jedoch - und man muss erneut auf das Substantiv "Bewegung" hinweisen - gibt es bei den Brights naturgemäß keine Vereinstreffen oder Parteitage. Vielmehr müssen sich die Brights selbst organisieren, ganz basisdemokratisch und ohne Nationalsozialismus im Hinterkopf.

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Heinrich Heine, Romantische Schule, 1835

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