Gegen linkes Lavieren
In einem Offenen Brief an die LINKE haben über 100 linke Israelis ihre Erwartungen an eine solidarische Politik der deutschen Linkspartei deutlich gemacht und Kritik an Teilen der Partei geäußert, die die israelische Politik im Nahen Osten unterstützen. Zu den Unterzeichnern gehören Universitätsgelehrte und Publizisten ebenso wie Aktivisten der
politischen Linken und Künstler. Im folgenden Auszüge aus dem Brief.
Wir haben uns zu diesem Brief entschlossen, nachdem uns wiederholt Berichte über Aktivitäten Eurer Partei bezüglich der Situation in Israel/Palästina bekannt wurden, so die Teilnahme von führenden Mitgliedern Euer Partei an einer Demonstration im Januar 2009 in Berlin, auf der die Weiterbombardierung des Gaza-Streifens gefordert wurde; das Bestehen und die . Akzeptanz eines Bundesarbeitskreis in Eurer Partei (BAK Shalom), der jedes militärische Vorgehen des Staates Israel
unterstützt und militaristische und nationalistische Propaganda
betreibt; schließlich das Schweigen der Mehrheit der führenden
Parteimitglieder zur israelischen Besatzungspolitik. All das hat uns bewogen, unsererseits nicht länger zu schweigen, sondern zu
intervenieren. Das Andenken an den Holocaust und der auch heute in Deutschland gebotene Kampf gegen Antisemitismus gehören zu den wichtigsten Aufgaben jeglicher emanzipatorischen Bewegung. Nicht trotz, sondern gerade aufgrund dieser Tatsache fällt es uns schwer nachzuvollziehen, wie man die israelische Besatzungspolitik in Deutschland als Teil der »Lehren aus der deutschen Geschichte« rechtfertigen kann.
Die intensiven diplomatischen und militärischen Aktivitäten der
Bundesrepublik in der Region und die aktive Unterstützung der
israelischen -Besatzungspolitik reichen uns, um in der BRD einen der Akteure zu sehen, die für die durch die israelische Regierung begangenen Verstöße gegen das Völkerrecht und für die israelischen Kriegsverbrechen mit verantwortlich sind. Aus diesem Grund denken wir, dass es unser Recht ist, von Euch als AktivistInnen für soziale Veränderung in Deutschland und als Mitglieder in einer Partei, die im Parlament und in regionalen Regierungen vertreten ist, Verantwortung für das Vorgehen
Eures Staates in Bezug auf unser Land zu übernehmen.
Die andauernde Besatzung und Entrechtung sind keine innerisraelischen Angelegenheiten. Die antidemokratische Herrschaft des Staates Israel über mehr als drei Millionen PalästinenserInnen, die kein Wahlrecht haben, und die Kriegsverbrechen, die in den besetzten Gebieten stattfinden, sind die Angelegenheit von allen, denen die Menschenrechte
ein Anliegen sind. Vor allem aber tragen die Bürgerinnen von Europa wegen ihrer - auch in der Gegenwart weiterhin stattfindenden kolonialistischen Interventionen im Nahen Osten eine besondere Verantwortung für den Konflikt. Angesichts dessen ist eine Scheu davor, Israel zur Verantwortung zu ziehen, unangebracht. Die ökonomische, militärische und politische Unterstützung, die Israel von der EU und besonderes von Deutschland erfährt z. B. in Form von Waffenlieferungen
und von Investitionen oder, indem Israel ein bevorzugter Status imHandelsabkommen mit der EU eingeräumt wird, fördern einen
Friedensprozess nicht, sondern tragen zur Aufrechterhaltung der
Besatzung und zur umfassenden Repression gegenüber der palästinensischen Bevölkerung bei. Außerdem verstärkt diese Unterstützung Militarisierungsprozesse und die Erziehung zu Rassismus und Intoleranz in unserer Gesellschaft.
Darüber hinaus bedürfte es angesichts der Schwäche der
PalästinenserInnen eines stärkeren Drucks auf Israel seitens der
Internationalen Gemeinschaft. Die stärkere Seite wird ohne wirksamen Druck ihre Positionen niemals aufgeben. Der Staat Israel hat immer wieder bewiesen, dass er nicht zu einem Friedensabkommen und zur Beendigung der Besatzung bereit ist, ohne dass im Ausland intensiv Druck ... ausgeübt würde.
Wir sind ermutigt durch Eure letzten Wahlerfolge und hoffen, dass Euer Erstarken dafür sorgt, in Sachen soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Feminismus und Antirassismus in Deutschland eine, neue Agenda auf die Tagesordnung zu bringen. Wir sind überzeugt, dass eine linke und solidarische Politik auch eine internationalistische Agenda haben muss,
und wir erwarten, dass sich Eure Partei auch in diesem Bereich am weltweiten Dialog mit linken, antirassistischen und feministischen Kräften aktiv betätigt. Als Teil eines solchen Dialogs möchten wir unsere Positionen zur Politik Eurer Partei in Bezug auf den Konflikt in Israel/Palästina darstellen.
Wir sind der Auffassung, dass der Staat Israel für die Besatzung, die rassistische Separatinn und die Kriegsverbrechen nicht belohnt und darin bestärkt werden sollte. Nur eine internationale Politik, die Israel klarmacht, dass Verstöße gegen das Internationale Recht nicht zu akzeptieren sind, kann einen gerechten Frieden für alle Bewohnerinnen des Landes bringen. Einige konkrete Forderungen, die Eure Partei stellen könnte, sind z.B:
- die Einstellung aller deutschen Waffenexporte nach Israel.
- die Verhinderung der Aufwertung der Handelsabkommen zwischen der EU und Israel. Deutschland und andere Mitgliedsstaaten der EU versuchen, diese Handelsabkommen mit Israel weiter aufzuwerten, obwohl solche Abkommen die Respektierung elementarer Menschenrechte im Partnerland
fordern.
- ein allgemeines Importverbot für israelische Produkte in die EU, die ganz oder teilweise in den besetzten Gebieten (inklusive Ostjerusalem) produziert werden.
- die Förderung von Gerichtsverfahren gegen die Täter bei
Kriegsverbrechen in Israel/Palästina und die Umsetzung der Empfehlungen des Goldstone-Berichts.
- die Unterstützung von Organisationen und AktivistInnen der
Zivilgesellsehaft in Israel/Palästina und vor allem des gewaltfreien und basisdemokratischen Widerstands gegen die Mauer und die Siedlungen in
den besetzten Gebieten.
Abgesehen von diesen Vorschlägen hoffen wir, dass Eure Partei sich erfolgreich darum bemühen wird, in Deutschland eine Debatte über die Bedeutung der deutschen Verantwortung für das Geschehen im Nahen Osten zu initiieren. Es sollte eine Debatte sein, die aus einer historischen und aktuellen Sicht, die alle Bewohnerinnen der Region gleichermaßen berücksichtigt, eine Politik des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte fördert. Wir würden uns freuen, zusammen mit
unseren palästinensischen Genossinnen und Partnern an den Debatten in Eurer Partei über das Geschehen in unserer Region teilzunehmen und hoffen, dass dieser Brief zu einem fruchtbaren und gleichberechtigten Dialog zwischen der Linken in Deutschland und der Linken in Israel/Palästina beiträgt.
ND 30.03.2010