Chinesische Paranoia - amerikanisches Kapital und Technik
In den nächsten Monaten werden in Südchina, 20.000 (oder mehr) Überwachungskameras für die Polizei installiert. Das Spionagesystem wurde eigens dafür entwickelt, automatisch Gesichter gesuchter oder verdächtigter Personen zu erkennen. Die Hardware wird von US-amerikanischer Software gesteuert. Die Einwohner der Stadt Shenzen (≈ 12 Millionen) müssen dann eine Chipkarte tragen, die von der selben US-Firma programmiert wurde. Zu den üblichen Daten wie Name und Adresse kommen noch folgende Angaben zur Person:
- Arbeitsstellen der Vergangenheit;
- Bildungs-Hintergrund;
- Religion
- ethnische Zugehörigkeit
- polizeiliche Einträge;
- Angaben zur Krankenkasse
- Telefonnummern von Hausbesitzern
New York Times
Könnte sein ...
Aber in China ist manches anders, als es scheint. Shenzen z. B. ist ein zur "Stadt" erklärter Ballungsraum auf einer Fläche, die nur unwesentlich kleiner ist als Österreich. Auf deutsche Verhältnisse übertragen wäre das etwa so, als ob man das Ruhrgebiet zur 10-Millionen-Stadt "Essen" erklären würde (wenn man dann noch das nördliche Rheinland mitsamt Düsseldorf und Köln eingemeinden würde, würde man Shenzen sogar locker toppen), oder das Rhein-Main-Gebiet zu "Frankfurt". Ebenso gut kann es sein, dass das Überwachungssystem kaum über das hinausreicht, was z. B. in London längst realisiert ist. Und ob die automatische Gesichtserkennungssoftware in China besser funktioniert als in den USA oder in Deutschland, wage ich zu bezweifeln. Ähnlich wie seinerzeit im "Ostblock" ist zu vermuten, dass Schein und Realität auch im heutigen China nicht immer übereinstimmen.
Auch die zu tragende Chipkarte wäre keine neue Idee - in einigen Betrieben ist sie auf dem Betriebsgelände längst üblich, allerdings ohne die umfassenden Datensammlung. China als "Labor" für Überwachungstechniken? Eher nicht. Aber ein "dankbarer Kunde" von Überwachungstechnik aller Art ist die VR China allemal, zumal die westlichen Anbieter geradezu Schlange stehen, ihre neuesten Überwachungstechniken an China zu verkaufen.
Noch eine Auffälligkeit: die chinesischen Sicherheitsbehörden scheinen mindestens ebenso technikgläubig zu sein wie die Deutschen. Gegenüber "professionellen" Kriminellen wäre das IMO ein Nachteil - aber um die geht es in solchen Überwachungsszenarien am wenigsten.
Das würde allerdings vorraussetzen, dass sie bereit wären, Konsequenzen zu ziehen
Wenn aber in Shenzen die Kriminalität sinken sollte, würden die Überwachungs-Befürworter das allerdings als Argument heranziehen - selbst wenn ganz andere Faktoren als die z. B. Überwachungskameras dafür ausschlaggebend waren.