PANORAMA Hetzsendung - DDR - Egon Krenz

Liebe Leute,

ich habe mir am 03. Juni 2009 die Sendung "Panorama - Die Reporter: Nachfragen unerwünscht - Egon Krenz, der letzte Chef der DDR" angesehen. Das ist wohl eines der übelsten Machwerke, die in letzter Zeit über den Bildschirm gelaufen sind. Die Sendung zu verantworten hat der Chefreporter des Norddeutschen Rundfunks, Herr Christoph Lütgert. Ich habe am 12. Juni Herrn Lütgert einen längeren Brief geschrieben. Eine Kopie dieses Briefes ist mit einem Begleitschreiben an Hubertus Knabe, den Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, gegangen.

von Armin Fiand - Rechtsanwalt aus Hamburg

An
Norddeutscher Rundfunk
Redaktion Panorama - Die Reporter
Sehr geehrter Herr Lütgert,

als Chefreporter des NDR genießen Sie einen guten Ruf. Man lobt Ihre Objektivität und ihre sorgfältigen Recherchen. Nachdem ich am 03. Juni die Sendung „Panorama - die Reporter: Nachfragen unerwünscht - Egon Krenz, der letzte Chef der DDR“. gesehen habe, die dann nochmals am folgenden Tag in gekürzter und etwas entschärfter Form in „Panorama“ selbst gezeigt wurde, sind mir starke Bedenken gekommen, ob die Einschätzung, die man von Ihnen hat, richtig ist. Egon Krenz, der (vor) letzte Staatsratsvorsitzende der DDR, hat es wohl zu recht abgelehnt, sich von Ihnen interviewen zu lassen.

Was Sache ist, hatte gleich am Anfang der Sendung Hubertus Knabe, seit 2001 wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit, verkündet:
„Krenz war ja ZK-Sekretär für Sicherheit. Er war der Zuständige, der das alles dirigierte. Und insofern war er auch der Verantwortliche für das ganze Verfolgungsregime.“
Sie kamen dann auf den Fall des am 12. Februar 1987 an der Grenze erschossenen Lutz Schmidt zu sprechen und sagten:

Hier (in Köpenick) hatte Lutz Schmidt gelebt, bevor er abgeknallt wurde wie ein Hase auf der Jagd.


Das ist unseriös und offenbart ein Niveau, das über das der Journalisten bei der Bild-Zeitung, die sich schon lange auf Egon Krenz eingeschossen haben, nicht hinausgeht.
Drei wichtige Dinge, die für die Beurteilung des Falles wichtig sind, haben Sie unterschlagen: Sowohl Schmidt als auch sein Freund Peter Schulze, dem die Flucht gelang, hatten Leitern mitgebracht und angelegt, mit denen sie die Grenzzäune überwinden wollten. Bevor die Grenzsoldaten auf Schmidt schossen, hatten sie ihn durch Zuruf aufgefordert, stehen zu bleiben. Da Schmidt dieser Aufforderung keine Folge leistete, gaben die Grenzsoldaten Warnschüsse ab. Erst, als Schmidt auch diese Warnschüsse nicht beachtete, sondern weiterhin versuchte, die Mauer zu übersteigen, eröffneten die Soldaten das Feuer.
Wie passt das zu Ihrer Darstellung, Lutz Schmidt sei wie ein Hase auf der Jagd abgeknallt worden“. Lagen die Grenzsoldaten auf der Lauer, um sich aus lauter Langeweile einen Spaß daraus zu machen, auf Menschen „wie auf Hasen“ zu schießen? Diesen Eindruck versuchen Sie in Ihrer Reportage zu erwecken.
Ein Zyniker würde hier sicherlich fragen, warum man „Hasen“, die „abgeknallt“ werden sollen, durch Zurufe und durch Warnschüsse auffordert, stehen zu bleiben.
Da ich kein Zyniker bin, stellen sich mir solche Fragen nicht. In den Sinn kommt mir jedoch, daß in den Jahren 1950/1960 Menschen, die die belgische Grenze ohne Erlaubnis überqueren wollten, erschossen worden sind, weil sie der Aufforderung der Grenzbeamten, stehen zu bleiben, keine Folge leisteten. Sie werden kaum eine eigene Erinnerung an die Vorgänge haben, weil Sie sehr wahrscheinlich noch gar nicht auf der Welt oder zu jung waren. Aber die Archive geben Auskunft.


Es sind nicht Einzelne, sondern Dutzende von Menschen im Raum Aachen an der Grenze zu Belgien von westdeutschen Zoll- und Grenzbeamten erschossen worden, und zwar bei dem Versuch, ein oder zwei Pfund Bohnenkaffee über die Grenze zu schmuggeln. Auf Zuruf waren die Betreffenden nicht stehen geblieben, sondern weiter gerannt.


Das Geschehen war damals Gegenstand einer Anfrage im Deutschen Bundestag. Der damalige Bundesfinanzminister Dahlgrün (FDP) erklärte hierzu am 04. März 1964:


"Die Grenzen Deutschlands sehen anders aus als die Grenzen Belgiens. Wir haben sehr schwierige Grenzen! Denken Sie einmal an die Alpen, an den Bayerischen Wald, denken Sie an die Zonengrenze! ... ich darf sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass dieses Gesetz erst im Jahre 1961 (!) vom Bundestag einstimmig beschlossen worden ist. Wir muessen das Anhalterecht an der deutschen Grenze aufrechterhalten!"


Das von von Dahlgrün erwähnte Gesetz ist das „Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte ---“ vom 10.03.1961, das unter anderem den Schusswaffengebrauch gegen Personen (§ 11) und den an der Grenze (§ 12) regelt. Es hat im wesentlichen den gleichen Wortlaut wie alle Grenzgesetze in dieser Welt. Auch das Grenzgesetz der DDR war so abgefasst.


Keiner der Grenzbeamten, die geschossen hatten, ist wegen fahrlässiger oder gar vorsätzlicher Tötung angeklagt und verurteilt worden. Dem staatlichen Interesse, die Grenzen zu kontrollieren und zu schützen und unerlaubte Grenzübertritte notfalls mit Waffengewalt zu verhindern, wurde, wie den Worten von Herrn Dahlgrün zu entnehmen ist, Vorrang vor dem Lebensrecht des Einzelnen eingeräumt.


Sie haben die Witwe von Lutz Schmidt in Ihrer Sendung ausführlich zu Wort kommen lassen. Ich gebe zu, daß die Sicht der Dinge aus der Perspektive der Opfer zwangsläufig eine andere ist als die eines Menschen, der nicht unmittelbar betroffen ist. Als Jurist kann man es jedoch nicht auf Emotionen abstellen, es zählen die Fakten.


Frau Schmidt meint, daß Egon Krenz zu günstig davon gekommen ist. Das war und ist offensichtlich auch Ihre Meinung. Darauf war Ihre ganze Sendung abgestellt. Tenor: Krenz, der alles zu verantworten hat, lebt heute in einem schmucken (kleinen, aber feinen) Reetdach-Haus in malerischem Ambiente in Dierhagen (Ihr Kommentar: „.das ist ja bürgerlichste Idylle hier“, „das ist nur wenigen vergönnt, so schön zu leben“) in einer der besten Wohnlagen gleich hinter dem Deich an einem der schönsten Strände in Mecklenburg-Vorpommern. Er lässt es sich gut gehen und reist in kommunistischen oder ehemals kommunistischen Ländern in dieser Welt umher. Mit seinen Büchern verdient er nachträglich noch am Leid der Menschen, das das DDR-Regime, von Krenz an maßgeblicher Stelle mitgeprägt, den Menschen zugefügt hat. Das sagen Sie zwar nicht ausdrücklich, aber bei den meisten Zuschauern wird es so ankommen.


Der Fall Lutz Schmidt war in der Tat einer der Anklagepunkte im Prozeß gegen Egon Krenz, die zu seiner Verurteilung geführt haben. Insgesamt ging es um vier. Krenz ist nicht wegen der Toten an der Grenze - so wird es meistens verkürzt und falsch dargestellt -, sondern wegen angeblichen Totschlags in vier einzelnen Fällen verurteilt worden.

Ich sage bewusst „angeblich““. Denn bei korrekter Anwendung des Rechts hätte Krenz - ebenso wenig wie die anderen Angeklagten aus dem Politbüro - gar nicht verurteilt werden dürfen. Er hätte freigesprochen werden müssen. So gesehen, ist das Urteil des LG Berlin in der Tat ungerecht, aber in einem anderen Sinne, als Frau Schmidt und vermutlich auch Sie meinen.

Das Urteil gegen Krenz ist in den Medien fast einhellig begrüßt worden. Nun endlich hatte man die „kriminellen Repräsentanten und führenden Politiker“ eines Unrechtsstaates ihrer gerechten Strafe zugeführt (einige fanden das Urteil zu milde), nachdem die „Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen“ ja nicht so recht geglückt war (was vornehmlich daran lag, daß man dies gar nicht wollte; man ließ die alten Nazis weitgehend ungeschoren und gliederte sie sogar ganz schnell wieder in den Staat und die Gesellschaft ein, weil sie für den Aufbau der BRD, vor allem aber auch im Kampf gegen den Kommunismus, benötigt wurden).
Alles rechtsstaatlich oder nicht?
Der Prozeß war aus meiner Sicht - ich bin kein DDR- sondern ein West-Jurist -, eine Farce. Er wird kein Ruhmesblatt in der bundesdeutschen Justizgeschichte, sondern eher ein Schandfleck sein. Es ging nicht um die individuelle Schuld von Krenz und den anderen Angeklagten, es ging darum, ein Exempel zu statuieren, d.h. ein ungeliebtes System, eben das sozialistische, zu diskreditieren und abzustrafen. Die Angeklagten waren schon verurteilt, bevor sie den Gerichtsaal betreten und den Mund aufgemacht hatten. Den Startschuß dafür hatte der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel in seiner Begrüßungsansprache am 23.09.1991 vor dem 15. Deutschen Richtertag in Köln gegeben, indem er ausführte:
„Wir hatten das Glück und die Chance, nach 1945 unser Land wirtschaftlich, den Rechtsstaat in Freiheit aufbauen zu können.
Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und Staatsanwälte bei dem was noch auf uns zukommt, eine ganz besondere Aufgabe. Es wird sehr darauf ankommen, wie die in allen Rechtsbereichen auf die Gerichte zukommenden Fragen behandelt werden, ob es vor allem auch gelingen wird, die für die Einheit so wichtige Akzeptanz der gerichtlichen Entscheidungen bei den Menschen zu erreichen. Davon hängt ab, ob der Rechtsstaat in den Augen der Bevölkerung in der Lage ist, mit dem fertig zu werden, was uns das vierzigjährige Unrechtsregime in der früheren DDR hinterlassen hat. Und in manchem müssen wir sehr aufpassen, daß uns nicht wieder später gesagt werden muß, wir hätten verdrängt, versagt, zu spät gehandelt. Ich weiß sehr wohl, daß die Gerichte nicht allein leisten können, was aufzuarbeiten ist. Aber einen wesentlichen Teil müssen Sie leisten, alternativlos. Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muß gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland, das man bekämpfte und -- zu Recht -- nie mehr wieder entstehen lassen wollte. Es muß gelingen, auch die schreckliche, Stasi-Vergangenheit zu entmystifizieren, um die Menschen, angstfrei zu machen.

Meine Damen und Herren! Bei Ihnen, den Richtern, liegt unter anderem die Entscheidung über eine ganz wichtige Frage: die Verjährung im strafrechtlichen Bereich. Ich meine, daß wir für die vor uns liegenden schwierigen Prozesse keine weiteren Hindernisse aufbauen sollten. Politische Straftaten in der früheren DDR dürfen nicht verjähren. Die Entscheidung darüber liegt allein bei den Gerichten. In ihre Rechtsprechung habe ich großes Vertrauen. Der Gesetzgeber kann aus rechtsstaatlichern Gründen wegen des Problems der Rückwirkung nicht tätig werden."
Kinkel hatte wohl recht in der Annahme, daß die Richter seinen Empfehlungen, die man auch als Anregung oder gar Aufforderung ansehen kann, wenn nötig, das Recht zurechtzubiegen, bereitwillig folgen würden. Die Richterschaft hatte schon immer im Kampf gegen Kommunismus und Sozialismus eine herausragende Rolle gespielt. Sie war erfahren und kampferprobt.
Delegitimieren bedeutet: Alles, was die DDR auf der Grundlage ihrer Gesetze geschaffen hatte, sollte als ungesetzlich, als Unrecht, hingestellt werden, soweit es mit den Rechtsvorstellungen der alten Bundesrepublik nicht übereinstimmte.

Kinkel wurde in der Folgezeit tatkräftig unter anderem von Jutta Limbach unterstützt. Frau Limbach, die von 1989 bis 1994 Justizsenatorin in Berlin war, betätigte sich als besonders eifrige Verfolgerin des DDR-Unrechts. Sie gebärdete sich so, als sei sie als Sonderermittlerin in Sachen „Regierungskriminalität der DDR“ eingesetzt worden. Sie hatte sich so weit vorgewagt, daß ihr im Jahre nichts anderes übrig blieb als sich selbst wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen , als sich Krenz wegen seiner Verurteilung durch das Berliner Landgericht mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht wandte. Frau Limbach war inzwischen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des für die Beschwerde von Krenz zuständigen zweiten Senats geworden (später wurde sie Präsidentin der Gerichts). In den entsprechenden Beschlüssen des zweiten Senats des BVerfG vom 24. und 25. Februar 2000 heißt es:
Die Selbstablehnung der Präsidentin ist begründet. Sie hat während ihrer früheren Tätigkeit als Justizsenatorin in Berlin in zahlreichen politischen Äußerungen zum Ausdruck gebracht, dass sie die Anordnungen der staatlichen Führung der DDR, auf denen die Tötung von so genannten Republikflüchtlingen an der innerdeutschen Grenze durch Minen, Selbstschussanlagen und den Schusswaffengebrauch der Grenztruppen beruhte, als strafbares Unrecht ansehe, dessen Verfolgung durch die Strafjustiz eine notwendige und für die Rechtskultur wichtige Aufgabe sei. Sie hat dabei mit Nachdruck die Auffassung vertreten, dass das Verfassungsrecht der Strafverfolgung der Beschwerdeführer wegen der in Rede stehenden Taten nicht entgegenstehe.
Nachdem die Richter und Staatsanwälte auf diese Weise nochmals dazu „vergattert“ worden waren, den politischen Vorgaben zu folgen und sich davon nicht durch kleinliche verfassungsrechtliche Bedenken abhalten zu lassen, konnte die justizförmige Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch die Strafverfolgung von DDR-Bürgern in Angriff genommen werden.

Wenn das Recht nicht passte, wurde es passend gemacht.

Die Rechtslage im Prozeß vor dem Landgericht Berlin war eindeutig. Nach dem Einigungsvertrag war vom seinerzeit geltenden Strafrecht der DDR auszugehen. Hiernach hätten die Angeklagten ohne weiteres freigesprochen werden müssen. Denn nach DDR-Recht (und nur auf dieses kam es an), lag überhaupt kein strafbares Verhalten vor, weil nur ein gesellschaftswidriges und gesellschaftsschädliches Handeln eine Strafbarkeit begründen konnte. Der Schutz der Grenze war nicht rechtswidrig. Er entsprach der durch Art. 7 der DDR-Verfassung und § 27 des Grenzgesetzes der DDR den Staatsorganen der DDR auferlegten Verpflichtung.

Ein Freispruch wäre natürlich ein unerwünschtes Ergebnis gewesen Also musste es korrigiert und zu diesem Zweck das Recht „angepaßt“ werden. Die Richter wandten die sogenannte Radbruch'sche Formel, die auf ungeschriebenes, aus dem Naturrecht hergeleitetes Recht zurückgreift, also das positive Recht durch „überpositives“ ersetzt, an - und schon war es möglich, mit Hilfe dieser „Zauberformel“ die „Taten“ an der „deutsch-deutschen Grenze“. die als schwerste Menschenrechtsverletzungen angesehen wurden, einer Strafverfolgung und Bestrafung der „Täter“ zugänglich zu machen.

Ich möchte es mir an dieser Stelle ersparen, auf die Einzelheiten einzugehen. Die Darstellung würde zig Seiten füllen. Um die Sache abzukürzen, füge ich diesem Schreiben zwei Anlagen bei.

* die eine ist mein Leserbrief in der FAZ vom 02.09.1997 mit der Überschrift „Ein Urteil ohne solide Rechtsgrundlage“

* die andere ist meine eingehend begründete Strafanzeige vom 30. Dezember 2000 wegen Rechtsbeugung gegen die Richter am Landgericht Berlin und am Bundesgerichtshof, die an der Verurteilung von Krenz mitgewirkt haben.

Die damalige Vorsitzende des Strafsenats des BGH, der über Krenz zu Gericht gesessen hat, war übrigens Frau Monika Harms, die jetzt Generalbundesanwältin ist.

Natürlich ist aus der Anzeige nichts geworden. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wurde abgelehnt. Nichts anderes war zu erwarten. So weit, daß das Recht auch und gerade in politischen Strafsachen korrekt angewendet werden muß, geht die vielgerühmte Rechtsstaatlichkeit in unserem Staate nun auch wieder nicht.

Sie haben in Ihrer Sendung Herrn Schabowski als Vorbild dafür hingestellt, wie man es auch machen kann und machen sollte, nämlich Einsicht und Reue zeigen. Dies vermissen Sie bei Egon Krenz. Ich frage Sie, welche Einsichten sollte Egon Krenz haben? Wofür sollte er Reue zeigen? Für einen Schießbefehl, den es nicht gab? Wofür sollte er sich schämen? Für einen Staat, dessen System, das sozialistische,

das Gegenstück zum ausbeuterischen Kapitalismus war (wie er jetzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich zum Vorschein gekommen ist)? Für einen Staat, der sich dem Frieden in der Welt verschrieben hatte?

Schabowski ist nach meiner Überzeugung ein typischer Wendehals. Zu DDR-Zeiten galt er als ausgesprochener Hardliner. Nicht von ungefähr trug er den Spitznamen „Lautsprecher der DDR“. Schabowski zeigte sich einsichtig und reumütig, weil er sich Vorteile davon versprach. Seine Rechnung ging auf. Zwar wurde auch er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (drei Jahre). Davon musste er jedoch nur einen geringen Teil absitzen, dann wurde er begnadigt. Hätte auch Krenz ein Lippenbekenntnis abgelegt, daß er alles bereue, wäre auch er alsbald aus der Haft entlassen worden

Was gab es Gutes in der DDR? Die Antwort: Wesentlich mehr als nur das „grüne Ampelmännchen“!

Was vielleicht am wichtigsten ist: Die DDR hat dafür gesorgt, daß ihrer Verfassung gemäß kein Krieg von ihrem Territorium ausgegangen ist. Sie hat sich - weder direkt noch indirekt - an Kriegen beteiligt, die dem Völkerrecht, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen widersprechen.
In Art. 8 der DDR-Verfassung stand:

1. Die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts sind für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich.

2. Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.

Das ist klar und eindeutig.
Von dieser Friedensliebe und Pflicht zum Frieden ist die BRD weit entfernt. Sie hat sich direkt am Krieg der Nato gegen Jugoslawien beteiligt. Die Bundeswehr ist in Afghanistan im Einsatz. Deutschland beteiligt sich mittelbar am Krieg der USA und der Koalition der Willigen gegen den Irak, indem sie Beistandsleistungen erbringt, also im strafrechtlichen Sinne Beihilfe leistet. Alle diese Kriege waren und sind völkerrechtswidrig.

Allein im Irak sind bisher einige hundert Tausend unschuldige Zivilisten getötet worden. Im Kosovo-Krieg waren es einige Tausend.

Niemand von unseren maßgeblichen Politikern regt sich darüber auf. Auch nicht der Generalbundesanwalt, der sich kategorisch weigert - er unterliegt den Weisungen der Bundesregierung - tätig zu werden, nämlich Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen wegen Friedensverrats und Verbrechen wider die Menschlichkeit einzuleiten.

Die Vorschriften im Grundgesetz und im Strafgesetzbuch, die Angriffskriege vermeiden sollen, sind derart unvollkommen formuliert, daß der Generalbundesanwalt immer wieder Schlupflöcher findet, um nicht anklagen zu müssen. Seine hauptsächlichen Argumente sind: Es sei auf der Grundlage der Verfassung und des Völkerrechts nicht möglich, festzustellen, was überhaupt ein Angriffskrieg sei, im übrigen sei nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht jedoch seine Durchführung unter Strafe gestellt.

Das Recht auf Leben, das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gesagt, hat den höchsten Stellenwert auf der Skala der Menschenrechte. Man sollte meinen, daß dies für alle Menschen dieser Welt gilt. Die Menschen in Serbien und im Irak, die der Kriegsmaschinerie der USA unter deutscher Beteiligung zum Opfer gefallen sind, hatten die Rechte offensichtlich nicht.
Die BRD eine Rechtstaat, die DDR ein Unrechtsstaat?

Zu letzterem äußert sich in Ihrer Sendung auch Hubertus Knabe. Er stammt aus dem Westen, hat also nie in der DDR gelebt. Er weiß aber genau, wie es dort ausgesehen hat.
Auszug aus der Sendung „Anne Will“ am 26. April 2009, zu der auch Hubertus Knabe eingeladen war:

Anne Will: Wieso meinen Sie, Herr Knabe zu wissen, wie die DDR tickte?

Hubertus Knabe: Ja, wer weiß das schon? Ich bin seit acht Jahren der Direktor einer Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis und da weiß man einfach, daß es sich um einen Unrechtsstaat handelte. Das sieht jeder, wenn man sich in diesen Kellerzellen bewegt und hört von den ehemaligen Häftlingen, wie dort verhört wurde und die Geständnisse erzwungen wurden. Da braucht man eigentlich nicht mehr viel darüber zu reden.

Man möchte Herrn Knabe den dringenden Rat geben, sich häufiger aus dem Keller des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses der Staatssicherheit der DDR nach oben zu begeben und sich in der Welt umzusehen. Vielleicht bekommt er ja eine Besuchserlaubnis für das Lager in Guantanamo und die Gelegenheit, sich mit den dort in Käfigen untergebrachten, teilweise angeketteten, Gefangenen zu unterhalten. Das könnte ihm dabei helfen, sich künftig ein genaueres Bild davon zu machen, was Misshandlungen und Folter bedeuten.

Die Beurteilung der DDR sollte man den Menschen überlassen, die in diesem Staat groß geworden sind und seine Vorzüge- und sicherlich auch Nachteile - kennengelernt haben.

Was gab es Gutes in der DDR? Laut Knabe: Nichts.
In der Verfassung der DDR waren beispielsweise festgeschrieben:
  • das Recht auf Arbeit,
  • das Recht auf Bildung und Ausbildung
  • das Recht auf Freizeit und Erholung
  • das Recht auf soziale Sicherheit
  • das Recht auf Wohnung
  • das Recht auf Schutz der Gesundheit und der Arbeitskraft
Alles nichts? Im Grundgesetz der BRD wird man Entsprechendes kaum finden.

Warum fällt es manchen so schwer, etwas Gutes über die DDR zu berichten, obwohl es Gutes gab? Noch ist die Idee, denjenigen zu bestrafen, der leugnet, daß die DDR ein Unrechtstaat - und sonst nichts - gewesen ist, nicht in die Tat umgesetzt worden.

Sie beklagen sich darüber, daß Krenz Ihnen keine Gelegenheit gegeben habe, die drängenden Fragen zu beantworten,


- wie er heute zu den Vorfällen der Mauertoten stehe,

- wie er das Unrecht in der DDR bewerte und

- wie er über die Geschichte denke, die es milde mit ihm gemeint habe.

Ist das wirklich so? Krenz hat auf seine Bücher (insbesondere „Herbst 89“ und „Gefängnisnotizen“) verwiesen. In diesen Büchern sind alle Ihre Fragen schon längst beantwortet. Krenz ist den Fragen nicht, wie Sie fälschlicherweise behaupten, ausgewichen. Man muß die Bücher allerdings lesen und nicht nur „überfliegen“.

Mir kommt es so vor, als hätten sie sich über Egon Krenz geärgert. Sie waren augenscheinlich darauf aus, ihn „vorzuführen“. Daraus ist nichts geworden, weil er, wie man so sagt, den Braten gerochen und Ihnen, wie Sie in der Sendung betont haben, lediglich gestattet hat, ihm beim Signieren seiner Bücher zuzuschauen. Die Unzufriedenheit mit Ihrer Statisten- oder Nebenrolle stand Ihnen deutlich im Gesicht geschrieben.

Es sollte endlich zur Kenntnis genommen werden:

* Es gab keinen Schießbefehl in der DDR. Es gab ein Grenzgesetz, in dem - wie in dem erwähnten in der BRD geltenden „Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges“ auch - der Schusswaffengebrauch gegen Personen und der an der Grenze geregelt war, mit einem nahezu identischen Wortlaut.

* Die Grenze zwischen der BRD und der DDR war mehr als eine „innerdeutsche Grenze“. Sie war eine Grenze zwischen den beiden militärischen Machtblöcken der Staaten des Warschauer Paktes auf der einen Seite und der Nato-Staaten auf der anderen Seite. Eine hochsensible Grenze, denn die beiden Machtblöcke standen sich - auch atomar - bis an die Zähne bewaffnet - feindlich gegenüber. Ein Pulverfaß. Ein Funke hätte genügt, um es zur Explosion zu bringen und dadurch einen neuen Weltkrieg auszulösen.

* Der Bau der Mauer war keine Erfindung der Machthaber der DDR. Erst jüngst konnte man nochmals in Spiegel-Online lesen, daß ein Dokument zweifelsfrei belegt: Moskaus Kreml-Chef Nikita Chruschtschow hat den Mauerbau befohlen!

* Die DDR führte im Rahmen der von ihr im Warschauer Pakt übernommen Verpflichtung in einer Art Auftragsverwaltung die Mauer aus. Auch das von ihr bediente Grenzregime muß unter diesem Gesichtspunkt der „Auftragsverwaltung“ gesehen werden. Das Sagen hatte die Sowjetunion. Das ist keine Schutzbehauptung, hinter der sich die Verantwortungsträger der DDR verstecken möchten.

* Man erinnere sich: Die BRD hat in der Zeit des Kalten Krieges immer wieder betont, daß die DDR nicht souverän, sondern ein Vasallenstaat der UdSSR, nichts weiter als eine Marionette sei. Die DDR wurde als „sogenannte DDR“ oder als „DDR“ bezeichnet, womit ein Gebilde charakterisiert werden sollte, das keinen eigenständigen Staat darstelle. Soll das nun plötzlich, weil es besser in das Konzept passt, doch alles ganz anders gewesen sein, insbesondere die DDR, was die Mauer und das damit verbundene Grenzregime angeht, aus eigener Initiative und eigenverantwortlich gehandelt haben?
Der damalige US-Präsident Ronald Reagan war jedenfalls im Bilde, als er 1987 in Berlin war und, am Brandenburger Tor stehend, in Richtung Osten rief: „Herr Gorbatschow, reißen sie diese Mauer nieder“ Er rief nicht, daß Herr Honecker dies tun solle.

Von einem Journalisten, der objektiv und fair ist, sollte man erwarten, das er nicht aufsagt, was die Obrigkeit gern von ihm hören möchte, sondern daß er sich eigene Gedanken macht, was voraussetzt, daß er sich zunächst mit dem eigentlichen Sachverhalt eingehend vertraut macht, bevor er sich darüber ausläßt.

Mit freundlichen Grüßen

( Fiand )

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